Antwort an Volks- und Raiffeisenbanken: Glück kann man nicht nachholen
Die Kampagne der Volks- und Raiffeisenbanken stellt die Frage „Hört mit dem Ruhestand alles auf oder fängt etwas Neues an?“. Die Positive Psychologie hat darauf eine andere Antwort als die genossenschaftlichen Banken: wer sich erst als Rentner auf Neues einlassen will, kommt in der Regel zu spät. Für das Glück der Pensionäre ist entscheidend, dass sie immer schon neue Wege erprobt und eine gut trainierte innere Beweglichkeit haben. Das legt neue werbliche Bilder in Zusammenhang mit der Altersvorsorge nahe.
Vor gut 10 Jahren hat das rheingold-Institut den Renteneintritt als „Vertreibung ins Paradies“ interpretiert und beschrieb damit den Konflikt, dass die Rentner nun einerseits aufgesparte Lebenswünsche wie Hobbies, Reisen, Weiterbildung etc. genießen könnten, andererseits aber der Zwang zur Neustrukturierung ihres Alltags und zur Neuerfindung von sich selbst als belastend empfunden würden. Das traditionelle Bild von der Verrentung war geprägt durch eine Ansparzeit vor der Rente und einer Zuweisungszeit nach der Rente – wie beim Bausparvertrag. Arbeitsreiche Entbehrung wurde mit einem Füllhorn neuer Möglichkeiten belohnt, und die finanzielle Lage der meisten Rentner erlaubte eine ausgiebige Nutzung dieses „paradiesischen“ Neulandes.
Heute, 10 Jahre und etliche wirtschaftliche und politische Krisen später, ist dieses Füllhorn deutlich kleiner geworden und ohne privates Zutun könnte die Zeit nach der Rente zur ganz persönlichen Krise werden. Davon profitieren die Finanzdienstleister mit Angeboten zur privaten Alters- oder Zukunftsvorsorge, die sie mit dem Versprechen verbinden, allen Widrigkeiten zum Trotz doch noch ins Rentner-Paradies mit schier unerschöpflichen neuen Möglichkeiten zu gelangen. Alles, was man immer schon machen wollte aber nicht konnte, solle nun endlich seine Erfüllung finden. Das Vorher-Nachher-Klischee wird damit weiter befeuert.
Tatsächlich aber hat die Glücksforschung der Positiven Psychologie inzwischen andere Faktoren als weitaus relevanter für das persönliche Rentnerglück identifiziert. Einer der Begründer dieser Forschung, Mihaly Csikzentmihalyi, geht in seinem Buch „Flow – Der Weg zum Glück“[1] mit einem eigenen Kapitel „Flow im Alter“ wie folgt darauf ein:
– Man muss rechtzeitig die Fähigkeit ausprägen, immer wieder aus Neue ins Leben einzutauchen, um lebendig zu bleiben.
– Dabei ist es wichtig, eine Position zu beziehen, die diese Tauchgänge lenkt – ohne einen solchen Fokus wird das Leben beliebig und bedeutungslos.
– Diejenigen Rentner, die sich erfolgreich auf neue Herausforderungen einlassen, sind immer die Menschen, die ihr Leben lang aktiv waren und bei denen es nicht um ein Nachholbedürfnis geht: Wenn man erst mit 65 anfängt, sich für die Welt zu interessieren, es vorher aber nie getan hat, dann droht der große psychische Kollaps im Alter
Kurzum: Der Eintritt in die Rente wird von der Positiven Psychologie nicht als Wendepunkt positioniert, ab dem sich alles zum Besseren wenden und Versäumtes nachgeholt werden soll – im Gegenteil: das Ausprobieren von Neuem wird im Rentenalter nur gelingen, wenn es schon eine sehr lange Zeit vorher lebens- und persönlichkeitsprägend war. Diese Erfahrung erklärt auch den Optimismus glücklicher Menschen in Bezug auf das Alter: er entsteht vor dem Hintergrund eines erfüllten Lebens in der Gegenwart, das mit großer Gelassenheit und Selbstbewusstsein auf die Zukunft projiziert wird.
Daraus ergeben sich neue Insights und Bilder für die Bewerbung von Produkten der Altersvorsorge. Mit dem Abschluss solcher Produkte sollte ein Prozess inspiriert werden, der das Ausleben einer lebenslangen Neugier und Beweglichkeit trainiert.
Das Credo: Ein glückliches Alter hat zwei Säulen: finanzielle Beweglichkeit und Offenheit für Neues – mit beidem muss man in jungen Jahren anfangen, wenn es gelingen soll.
Für dieses neue Modell des „Early Age Planning“ kann die Kommunikation inspirierende Beispiele geben und Trainings anbieten. Dafür sind die Volks- und Raiffeisenbanken in ganz besonderer Weise prädestiniert, weil sie sich mit ihrer erfolgreichen Antriebskampagne seit Jahren als Meister der kommunikativen Inspiration profiliert haben.
[1] Mihaly Csikzentmihalayi, Flow – Der Weg zum Glück, Verlag Herder, 2012, S. 161 ff