Perfekte Altersstrategie: Kultivierung der eigenen Persönlichkeit
Im Laufe eines langen Lebens durchlaufen wir viele prägende Veränderungen; das betrifft die persönlichen Lebensumstände wie Familie, Partner, Freunde, Job, Wohnort, aber auch unsere mentale und körperliche Verfassung. Die Bewältigung dieses permanenten Wandels gelingt am besten, wenn wir den Kern unserer Persönlichkeit erhalten, auch wenn sich ihre Ausdrucksformen im Zeitverlauf ändern. Damit schaffen wir es, im Alter immer noch als die Person erkennbar zu sein, die wir immer schon waren. Authentizität ist der Schlüssel zur alterslosen Attraktivität als Mensch.
Jeder Mensch hat etwas ganz Eigenes, das ihn ausmacht. Das kann der persönliche Stil sein, der Umgang mit anderen, ein spezieller Humor, große Visionen, kleine Gesten, besondere Marotten, Talente oder Hobbies, kurzum: das, was einem als erstes einfällt, wenn man an eine bestimmte Person denkt. Dieser Kern einer Persönlichkeit trägt einen durchs Leben, auch wenn sich die Rollen im Laufe der Zeit ändern und multipler werden. Das Motto lautet: „Be more of you, but always be you.“
Eine solche authentische Persönlichkeit zeichnet sich dadurch aus, dass sie ihre ur-eigenen Werte und Kompetenzen unabhängig vom Zeitgeist auslebt und darüber ein besonderes Band zu anderen herstellt. Für diese soziale Verbindung sind 2 Faktoren unerlässlich:
- Ein authentischer Mensch will nie mehr sein als er ist – auch nicht in digitalen Scheinwelten.
- Er stellt sich nicht über andere, sondern behauptet sich in einem konstruktiven Dialog mit anderen.
Denn Authentizität bringt einen zwar nach Hause zu sich selbst, ist aber keine introvertierte Charaktereigenschaft, sondern eine, die den Zugang zu anderen erleichtert. Sie ist eng verbunden mit Integrität, Berechenbarkeit und Verlässlichkeit.
Die beste Altersstrategie ist also die, sich auf den Kern seiner ur-eigenen Persönlichkeit zu besinnen und sie zu kultivieren. Sie bleibt im Kern gleich, ist aber in ihren Ausdrucksformen beweglich. Es geht also um die Synthese zwischen Beharrlichkeit und Flexibilität als Glücksformel für einen bereichernden Altersprozess.
Dieses Thema erinnert mich stark an meine Großmutter. Sie war eine ausgesprochen elegante Frau, die bis kurz vor dem Ende des zweiten Weltkrieges in Breslau einen relativ großen Haushalt für ihre Familie führte. Die Vertreibung führte sie zum Bauernhof von entfernten Verwandten im niedersächsischen Walsrode, wo sie mit ihrem heimkehrenden Mann auf dem Dachboden ein Zimmer bezog, Plumsklo draußen auf dem Hof. Da wohnte sie mit meinem Großvater bis Anfang der 60er Jahre.
Trotz dieses dramatischen Absturzes hat sie ihre Eleganz nie verloren: als gelernte Schneiderin nähte sie aus Stoffresten modische Kleider, die ihre Würde erhielten und das eigentliche Elend überstrahlten. Sie tat das nicht nur für sich, sondern für das ganze Dorf, das alte, abgetragene Klamotten (u.a. Wehrmachtsmäntel) bei ihr zu wieder tragbaren Kleidungsstücken umfertigen ließen – für Eier und Speck. Damit ist sie für zwei herausragende Schlüssel zu einem erfüllten Alter auch unter widrigen Umständen beispielgebend: Pflege der ur-eigenen Persönlichkeit und Entwicklung einer neuen, sinnvollen Aufgabe. Großartig!
Ich persönlich habe davon ebenfalls profitiert, weil sie mir während meines Studiums das Nähen beibrachte. Auf diese Weise konnte ich trotz schmalem BAFÖG-Budget modische Klamotten herstellen, die ich mir sonst nicht hätte leisten können. Das hat mir auch den Einstieg ins Berufsleben erleichtert, weil ich die ersten Kostüme und Hosenanzüge selbst genäht habe – auf absolut professionellem Niveau wie von meiner Großmutter vermittelt und erwartet. Bis heute ist das eines meiner liebsten Hobbies.



